AWO-Beratung und Wohnungslosenhilfe

Wohin, wenn man alles verloren hat? Nicht auf alle Menschen, die vor der Tür der alten Schule von Stockheim stehen und auf die Klingel an der Tür drücken, trifft dies zu. Es sind jedoch etliche und werden immer mehr, die die Beratungsstelle für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten aufsuchen, die in dem alten Gebäude seit mehr als 30 Jahren untergebracht ist. Besser bekannt ist die Anschrift unter dem Begriff AWO-Wohnungslosenhilfe. An der Tür nebenan geht es zur Tagesaufenthaltsstätte. Die drei Männer mittleren Alters, die sich an diesem Tag hier aufhalten, wollen in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken, sich duschen und ihre Wäsche waschen. Danach geht es wieder hinaus in eine Welt, in der sie kein Zuhause mehr haben. Sie könnten bestimmt viel erzählen, weshalb und wie es so weit gekommen ist, aber sie wollen sich nicht dazu äußern. Sich einfach mal ausruhen, zur Ruhe kommen und nicht ständig darüber nachdenken müssen, was im Leben schief gegangen ist und weshalb der Gedanke an Morgen kein gutes Gefühl hinterlässt.

 

Den drei pädagogischen Fachkräften des Kreisverbands Odenwaldkreis der Arbeiterwohlfahrt sind diese Momente sehr vertraut. Sie drängen sich nicht auf, stehen zur Verfügung für denjenigen, der das Gespräch sucht und respektieren, wenn neben den praktischen Dingen ein Besucher Zerstreuung am Fernseher sucht, im Internet recherchieren oder eine E-Mail schreiben möchte. Auch dient die AWO-Beratungsstelle als Postanschrift für Menschen ohne festen Wohnsitz und in erster Linie als Anlaufstelle, um mit Profis die vielen behördlichen Angelegenheiten zu bewältigen, ohne die die staatlichen Hilfen nicht greifen können.

 

Keine Wohnung geht oft einher damit, auch keine Arbeit zu haben, dafür Schulden. Wenn zu allem Überdruss die sozialen Bindungen leiden, gestört oder gar gerissen sind, kommen mitunter übermäßiger Alkoholgenuss oder Drogenkonsum noch hinzu. Michael Schmidt ist Diplom-Sozialarbeiter und kennt diese teuflische Verstrickung aus seiner langjährigen Arbeit mit Menschen in Wohnungsnot nur allzu gut. Seit 1999 ist er für die Beratungs- und Anlaufstelle tätig und schaut mit Sorge auf die weitere Entwicklung. Bereits im Blick zurück wird deutlich, dass sich nicht nur die Lebensverhältnisse des betroffenen Personenkreises massiv verschlechtert haben, sondern auch immer mehr Menschen auf die Hilfen angewiesen sind. Mit fast 700 Beratungsgesprächen waren die Fachkräfte im zurückliegenden Jahr so stark gefordert wie nie zuvor. 236 Menschen haben die Beratungsstelle aufgesucht, zitiert Michael Schmidt aus dem Jahresbericht. Hinzu kamen rund 250 telefonische und schriftliche Kontakte. Als eine hilfreiche Ergänzung hat sich das Ambulante Betreute Wohnen etabliert, das auch in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle ansässig ist. Über maximal zwei Jahre kann gleichzeitig bis zu acht Betroffenen geholfen werden, wieder Fuß zu fassen „für ein eigenverantwortliches, selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung“, wie es im Jahresbericht dazu heißt. Im Berichtsjahr konnten darüber sechs Menschen unterstützt werden. Die Beratungsstelle ist auch berechtigt, Bedürftigen Ausweise zum Einkauf von Lebensmitteln bei der Erbach-Michelstädter Tafel auszustellen.

 

Zurück zur Beratungstätigkeit: Zu Beginn steht oft die Aufklärungsarbeit und praktische Hilfe, um die vielfältigen Möglichkeiten der staatlichen Unterstützungsleistungen zu beantragen und darüber die finanziellen Sorgen abzumildern. „Anträge auf Grundsicherung, Bürgergeld, Arbeitslosengeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld sind an der Tagesordnung“, sagt Michael Schmidt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dennoch die wichtige Frage nach angemessenem und bezahlbarem Wohnraum. Dazu Christian Merkel, der seit Februar 2022 mit einer Teilzeitstelle in der Beratungsstelle angestellt ist: „Die Wohnungsnot ist kein reines Problem der Ballungsräume. Auf dem Land und im Odenwaldkreis hat sich die Lage sehr verschlechtert in den letzten Jahren. Es betrifft auch Familien mit Kindern.“ Wenn eine fünfköpfige Familie in einer Wohnung mit nur 45 Quadratmetern zusammenleben muss, sei es durchaus berechtigt, von „prekären Wohnverhältnissen“ zu reden. „Im Odenwaldkreis gibt es keinen sozialen Wohnungsbau“, fügt der Sozialpädagoge hinzu. Ebenso wenig sei das Thema auf der politischen Agenda angekommen. Gemeinsam stellen die Beratungskräfte fest: Der Wohnungsmarkt hat sich gerade letzten Jahren deutlich verschlechtert. So seien von 2020 bis heute die Mieten in Michelstadt um 64 % gestiegen. Die Folge daraus sei: In der Beratungsstelle sind 54 weitere Menschen vorstellig geworden, die ohne Wohnung dastehen. „Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches darüber“, ergänzt Rebecca Hormel, die zur Verstärkung des Teams Anfang des Jahres hinzugestoßen ist. In die Statistik der Beratungsstelle fließen nur die Schicksale der Menschen ein, die bekannt werden oder geworden sind.

 

Den vielen Kontakten mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden ist es zu verdanken, dass die kommunalen Notunterkünfte wenigstens einen Teil der betroffenen Menschen auffangen können. Entwarnung könne aber keineswegs gegeben werden, stimmen die drei Fachkräfte überein. Sie vermitteln auch auf dem freien Markt und begleiten Wohnungssuchende bei Besichtigungsterminen. Hilfreich ist dies besonders in den Fällen, wenn sprachliche Verständigungsprobleme hinzukommen oder Menschen anderer Hautfarbe oder aus fremden Kulturkreisen auf die Hilfen angewiesen sind. Davon betroffen seien aber auch immer mehr junge Menschen. Fündig werden die Berater bei Besitzern von Gebäuden, die früher als Pension oder Hotel gedient haben. Die öffentliche Hand trage viel zu wenig dazu bei, um die Lage zu entspannen, sagen die Berater. „In den sozialen Wohnungsbau wird hier nichts investiert“, fügt Michel Schmidt der Bestandsaufnahme hinzu.

 

Kontaktdaten und Erreichbarkeit

Die Beratung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten (Wohnungslosenhilfe) ist ein Angebot des AWO-Kreisverbands Odenwaldkreis e. V. mit Sitz in der ehemaligen Schule von Stockheim. Die Anschrift lautet Amorbacher Straße 19 (B 47) in 64720 Michelstadt. Telefonnummer und Email-Anschrift lauten 06061 / 925-218 und sozialberatung@awo-odenwald.de

Die Beratungsstelle ist von Montag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr; freitags bis 13 Uhr sowie nach vorheriger telefonischer Vereinbarung erreichbar. In demselben Gebäude befindet sich auch die Tagesaufenthaltsstätte, die jeden Montag, Dienstag und Donnerstag von 9 bis 16 Uhr und mittwochs und freitags von 9 bis 13 Uhr geöffnet ist. Die Beratung ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht.

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